…zu kurze Arme sind peinlicher

Ganz Deutschland bewundert Helmut Schmidt. In seiner Souveränität und geistigen Brillanz stellt er die meisten anderen Menschen in den Schatten. Egal ob sie 25, 50 oder 75 Jahre jünger sind. Irgendwie hat bei unserem Bundeskanzler a. D. keiner ein Problem damit, dass er körperlich unverkennbar gealtert ist. Er ging erst mit einem Stock und sitzt nun im Rollstuhl, hört etwas schlechter und bemüht sich auch sonst nicht, äußerlich ein jüngeres Alter vorzutäuschen. Aus ihm spricht deutlich “ja, ich gehe stramm auf die Hundert zu und das ist körperlich etwas anderes als Mitte Vierzig oder gar Mitte Zwanzig – na und?”

Geht man mit wachen Augen durch die Welt, so fehlt es vielen Menschen halben Alters an der gleichen Souveränität. Vielmehr wird allenthalben die Grenze zur Peinlichkeit überschritten. Und damit meine ich nicht nur Haartransplantationen und Haare-Färben, gefolgt vom Falten-Wegliften, bis das natürliche Lachen vergeht. Auch die jovial-anbiedernde Adaption der Jugendsprache und das Tragen von “Klamottenmarken”, die sonst nur Teenager tragen, sind nicht wirklich besser. Übrigens finden es die derart Kopierten (und nicht nur die) eher negativ belustigend, wenn ihre Eltern, Onkel und Tanten die gleichen Marken tragen.

Wenn man – wie ich – Mitte Vierzig überschritten hat, dann merkt man an sich selbst noch etwas anderes – und kann es im Freundeskreis beobachten: die Arme werden kürzer. Natürlich nicht wirklich. Es sind eher die Augen, die beginnen, schlechter zu werden. Das Lesen fällt schwerer, insbesondere, wenn es dunkel und die Schrift kleiner wird. Das ist in dem Alter normal. Die Optik Branche freut sich darüber übrigens aus gutem Grund und ruft aus “früher oder später kriegen wir Euch (fast) alle!”

Nun könnte es so einfach sein: eine vernünftige (Lese-) Brille kaufen und schon kann man wieder mit ausreichend langen Armen lesen – auch Speisekarten im Restaurant-Dämmerlicht. Wenn es auch mit der Fernsicht etwas hapert, einfach zu einer gut angepaßten Gleitsichtbrille greifen oder zu dezenten Multifokal-Kontaktlinsen. Fertig. Aber nein, das könnte ja ein körperliches Gebrechen signalisieren. Also strecken viele lieber die Arme, recken sich unter eine Lampe und meinen, das fällt keinem auf.

Das ist ähnlich irrig, wie die Annahme Schwerhöriger, keiner würde merken, dass sie ein Hörproblem haben. Wer ehrlich zu sich selber ist, der muss sich eingestehen, dass man sein Alter nicht wirklich kaschieren kann – wozu auch, es gibt hierfür keinen wirklichen Grund. All dies ist deutlich peinlicher, als in der entsprechenden Situation eine schicke Brille aufzuziehen oder ein Hörgerät zu tragen. Letztere sieht man übrigens kaum noch. Und selbst wenn man sie sieht: na und?

Also, liebe Mittvierziger und Fünfziger, wirklich souveräne Menschen, wie der eingangs genannte Helmut Schmidt, stehen zu den natürlichen Veränderungen und sind klug genug, sie auszugleichen und sich auf das wirklich Wesentliche zu konzentrieren.

Ein Kommentar

  1. Lieber Jörg,
    da gebe ich dir natürlich voll und ganz recht. Allerdings vermute ich dass es hier um ein gewisses Maß an Reife oder gar emotionaler Intelligenz geht, das vorausgesetzt werden muss um das Altern mit all seinen Reifeprozessen so sehen zu können. Es bleibt nur zu hoffen dass dies bei möglichst vielen Menschen vorhanden ist. Bei Brillen und Kontaktlinsen bin ich ja optimistisch, aber,…….

    CG

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