Ein beeindruckender Abend mit Helmut Schmidt

Netzwerkveranstaltungen gibt es zahllose. Wenn ich wollte, könnte ich wie viele andere jeden Abend irgendwo das Akquiseopfer für Visitenkartenstreuer abgeben. Jedoch auf diese eine Netzwerkveranstaltung habe ich mich seit Wochen gefreut wie ein kleines Kind auf seinen Geburtstag: Helmut Schmidt zu Gast bei der 50. Ausgabe des Düsseldorfer Ständehaus-Treffs im Dialog mit Giovanni di Lorenzo. Das versprach einen spannenden, anregenden und unterhaltsamen Abend – und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht.

Hier meine persönlichen Schmidt-Highlights des Abends:

Zum Eindruck, den Joachim Gauck auf Schmidt gemacht hat, als er ihn am Freitag vor der Wahl zum Bundespräsidenten traf:
„Er machte den Eindruck eines normalen Menschen – und das ist eine ganze Menge.“

Zur Notwendigkeit von Kompromissen in der Politik:
„Wenn ein Gesetz genauso raus kommt aus dem Landtag, wie Sie es eingebracht haben, haben Sie es entweder mit einer Diktatur zu tun oder mit einem nicht funktionierenden demokratischen System.“

Zur Intervention der westlichen Welt im Irak und in Afghanistan und den Ereignissen in Libyen, Ägypten und Syrien:
„Ich sehe viele Tote – aber keinen Fortschritt.“

Zu Hedgefond-Managern:
„Es nützt der Volkswirtschaft nicht, wenn ein Hedgefond-Manager als Milliardär ins Jenseits entschwindet.“

Zur Frage, warum Deutschland Griechenland helfen soll:
„Die Deutschen müssen sich gefälligst daran erinnern, dass sie ohne die Hilfe Amerikas, ohne die Hilfe des Schumann-Plans und ohne die Hilfe des Marschall-Plans niemals auf einen grünen Zweig gekommen wären. Das heißt, das wiedervereinigte Deutschland steht ökonomisch gut da. Aber warum steht es gut da? Weil die anderen geholfen haben. (… ) Man muss als Deutscher begreifen, dass man von der Welt abhängt und dass man ohne die Hilfe Vieler nicht auf einen grünen Zweig gekommen wäre und man in Folge dessen heute als Deutscher die Pflicht hat, den anderen zu helfen.“

Was noch gefehlt hat? Gerne hätte ich Helmut Schmidt im Dialog mit der NRW-Ministerpräsidentin Kraft erlebt. Dieser ist ja gerade der Landtag abhanden gekommen. So kann sie zum Glück ihren aberwitzigen Plan nicht mehr umsetzen, das Nichtraucherschutzgesetz so rabiat zu verschärfen, dass quasi nirgendwo mehr geraucht werden darf – selbst nicht in einer geschlossenen Gesellschaft oder in meiner Lieblings-Zigarrenlounge. Na den Kommentar von Helmut Schmidt dazu hätte ich gerne gehört. Denn beim Ständehaus-Treff antwortete er auf die Frage, ob es öffentliche Orte gibt, an denen er nicht raucht, in seiner unmissverständlichen Art: „Ja, gibt es. Ich würde in einer Kirche nicht rauchen, aber deswegen gehe ich da auch ganz ganz selten hin“

Was ist es, das Schmidts Schnauze so außergewöhnlich macht? Sicher nicht nur die Souveränität und Gelassenheit des Alters und die Erfahrung eines Mannes, der Deutschland durch eine schwere Zeit gesteuert hat. Helmut Schmidt hat einmal gesagt: “Für mich bleibt das eigene Gewissen die oberste Instanz” – und genau das spürt man. Er ist innerlich unabhängig, bis in die Haarspitzen authentisch und vertritt (s)eine glasklare Meinung, auch wenn sie unpopulär ist. Ein außerordentlich gutes Beispiel dafür waren Schmidts Antworten auf die Fragen von Giovanni di Lorenzo zum Thema Vorbildfunktion eines Politikers:

Di Lorenzo: Haben Sie Verständnis für die Deutschen, die Sie für ein Vorbild halten?

Schmidt: Wenig. Außerdem ist es lästig.

Di Lorenzo: Warum?

Schmidt: In Wirklichkeit bin ich kein so guter Mensch.

Di Lorenzo: Inwieweit müssen Politiker überhaupt Vorbild sein, in welchen Bereichen?

Schmidt: Sie müssen Vorbilder sein in ihrem Bereich. Sie müssen kein Vorbild sein, was ihre Vorliebe für Musik oder für Theater angeht. Sie müssen kein Vorbild sein, was die Einhaltung der Einehe angeht. Aber auf dem politischen Feld müssen sie Vorbilder sein.

Glauben Sie mir, man nimmt diesem Mann jedes einzelne dieser Worte ab und ist am Ende oft genauso überzeugt davon wie er.

Also, lieber Veranstalter Axel Pollheim: Danke für diesen beeindruckenden Abend!

PS: zum Abschluss noch eine Buchempfehlung: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt (Helmut Schmidt / Giovanni di Lorenzo)

5 Kommentare

  1. Schliesse mich an, das war ein zutiefst beeindruckender Abend. Wir hatten Gäste aus Polen am Tisch, die ebenfalls positiv überrascht waren von der Power dieses Mannes, der nun auch noch nach Singapur reist. Ein Titan!

  2. Lieber Jörg,

    in der Tat es war ein aussergewöhnlicher abend. Selten hat mich eine Person und auch das Ambiente einer Veranstaltung so in den Bann gezogen.

    Als kleine Ergänzung zu Deinen Ausführungen fand ich noch die Anmerkungen Schmidts zu dem Thema “Menschenrechte”. Auch und insbesondere zu denen in Singapur und China, wo Helmut Schmidt ja nun wohl auch im Mai hinreist. Es regt schon zum Nachdenken an, wenn dieses für uns so hohe Gut der Menschrechte von einer Institution der Deutschen Geschichte zwar nicht in Frage gestellt wird, denoch aber in ein anderes Licht gerückt wird, in einen anderen Komtext gesetzt wird. Wir in Europa bzw. der westlichen Welt sind eben nicht der Nabel derselben und unsere Werte sind nicht automatisch ein Exportschlager.

  3. Ein langes Bedürfnis meinerseits, meine Hochachtung für Helmut Schmidt, ehem. Bundeskanzler a.d. darzustellen:

    Mein bester Politiker- vermisse ihn sehr! Würden heute besser dastehen, mein Vorbild, ein ehrenwerter Politiker für Deutschland.

    DANKE!

    Zum 95.Geburtstag am 23.Dez.2013 für Herrn Helmut Schmidt: Gesundheit, eine unbeschwerte, gute Zeit wünscht eine unbekannte Verehrerin (Jahrgang 1925)

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