Dat ham wer uns so nich vorjestellt

Dieser klassische Adenauer-Ausspruch käme heute der kompletten Generation der geistigen Gründer des Nachkriegsdeutschlands über die Lippen, würden sie sehen, wie ihre Wirtschaftsordnung allenthalben missbraucht und verunstaltet wird. Aha, mag der geneigte Leser denken, jetzt kommt die allgegenwärtige Schelte gegen Banker und Finanzmanager als (Ab-)Zocker, gegen Leerverkäufe und schäbige Wetten auf Staatspleiten. Sicher wäre es reizvoll, hierzu etwas zu schreiben – nun, vielleicht ein anderes Mal.

“Dat ham wer uns so nich vorjestellt” hätte Ludwig Erhard als Vater der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland bestimmt nicht nur zu den Exzessen des Finanzmarktes gesagt, sondern auch zu der Art und Weise, in der Keyplayer die Möglichkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes (also Patentrecht etc.) für sich instrumentalisieren. Es geht auch, aber nicht nur, um den aktuellen aberwitzigen Streit zwischen Apple, Samsung, Google & Co.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich bin sehr für den Schutz bestehender Rechte und für eine wirksame Rechtsdurchsetzung. Eigentum ist schutzbedürftig und schützenswert. Das gilt gleichermaßen für körperliches wie für geistiges Eigentum.

Aber nicht ohne Grund haben die Väter des Grundgesetzes in Art. 14 dem Eigentumsschutz des Absatzes 1 eine Verpflichtung in Absatz 2 zur Seite gestellt: “Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.” Dieser Grundgedanke zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Rechts- und Wirtschaftsordnung. Wir haben keine Wirtschaftsverfassung a la Manchester-Kapitalismus, wo der Stärkere sich schrankenlos durchsetzen und damit letztlich Wettbewerb verhindern kann. Dank Ludwig Erhard und seinen Mitstreitern leben wir in einer sozialen Marktwirtschaft oder zumindest in dem, was davon übrig ist. Und in der sozialen Marktwirtschaft hat der freie und faire Wettbewerb einen zentralen Stellenwert – getragen von dem Wissen, dass dies letztlich einer leistungsfähigen Wirtschaft und dem sozialen Frieden dient.

Auch Patent-, Gebrauchs- und Geschmacksmusterrecht streben in diesem Sinne einen fairen Ausgleich an. Einerseits sollen Erfinder und Produktdesigner vor unfairen Trittbrettfahrern geschützt werden, andererseits aber auch der Wettbewerb nicht unnötig ausgebremst werden. Ein Blick auf die aktuelle Auseinandersetzung der großen “Spieler” in den Bereichen Smartphones und Tablets inklusive der zugehörigen Betriebssysteme veranschaulicht, wie weit sich die Realität von dem entfernt hat, was sich der Gesetzgeber als fairen Ausgleich „vorjestellt“ hat:

Apple dominiert den Tablet-PC Markt, nicht zuletzt weil sie 2011 vorübergehend den Markteintritt von Samsung verhinderten – und damit Wettbewerb in dieser Produktkategorie. Das Android-basierte Galaxy von Samsung sehe dem iPad einfach zu ähnlich. Da fragt man sich bei einem Tablet schon, wer etwas davon hat, wenn die Optik geringfügig verändert wird, damit der Wettbewerb beginnen kann. Es profitiert zumindest kurzfristig allein derjenige, der den anderen durch Klagen im Weihnachtsgeschäft vom Markt fernhalten kann – zum Leidwesen der Verbraucher.

Die Grundform eines Tablet wird durch die Art der Produktnutzung festgelegt. So, wie ein Ball rund ist, damit er gut rollt und fliegt, so ist ein Tablet eben möglichst flach und mit einem möglichst großen Touchscreen versehen. Wenn die minimalistische Gestaltung per se als schützenswert angesehen wird, dann wird eine grundsätzliche Art des Designs unter Schutz gestellt – mit bedenklichen Folgen.

Die Reaktion hierauf ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Samsung konnte dies – Auge um Auge… – nicht auf sich sitzen lassen und konterte seinerseits mit diversen Klagen. Natürlich nicht nur in dieser, sondern auch in einer anderen Produktkategorie, 3G-Patenten sei „Dank“. Doch auch das reichte noch nicht. Die nächste Eskalationsstufe wurde von Google gezündet und Motorola akquiriert, um das Waffenarsenal der Schutzrechte zu erweitern. Dabei drängt sich klar der Eindruck auf, dass an dem wertschöpfenden Teil von Motorola allenfalls ein sekundäres Interesse besteht. Aber für die taktische Schlacht mit Apple hilft es Google: letzte Woche hat Motorola Apple gerichtlich die Mail-Push-Services aus MobileMe und iCloud untersagen lassen – auf Basis eines Patents aus der Pager-Zeit (http://www.ftd.de). Ein weiteres Mal ist der Verbraucher der Leidtragende.

Und so wird immer weiter an der Schraube gedreht. Wo beim besten (?) Willen weder Patente, Gebrauchs- oder Geschmacksmuster noch irgendwelche Urheberrechte betroffen sind, da wird das Wettbewerberverhalten als anderweitig unlauter angegriffen. Beinah täglich liest man von neuen Klagen und Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Möglichkeiten der Rechtsordnung nutzend, werden Gerichte quer durch die Republik – und darüber hinaus – damit beschäftigt. Schlag auf Schlag. Wie bei einem Brettspiel werden Steinchen verschoben. Es wird gedroht und eskaliert, ohne dass der Eindruck entsteht, den Streit könne jemand gewinnen. Das Ganze erinnert an den Kalten Krieg, nur ging es da um Atomwaffen und die Existenz der Menschheit. So weit sind wir im Streit zwischen Apple, Samsung, Google & Co. zum Glück noch nicht.

Gerade für mittelständische Unternehmen hat das Problem insbesondere im Bereich Software noch eine andere Dimension. Es ist längst traurige Realität, dass vor allem  globale Konzerne zahllose Schutzrechte beantragen, um einen Markt gar nicht erst entstehen zu lassen. Ist ein Schutzrecht erst einmal gewährt, und sei es auch zu Unrecht, so ist es kosten- und zeitaufwendig, dieses wieder “wegzuklagen”. In diesem Dickicht zahlloser Schutzrechte sind Identifikation und Prüfung bestehender Schutzrechte erhebliche Hürden für einen freien Wettbewerb. Wer auf gut Glück handelt und ein Schutzrecht verletzt, für den kann es extrem teuer werden. Im Umfeld der bevorstehenden CeBIT wird dies aktuell zu Recht intensiver thematisiert (http://www.bitmi.de), da es keine unbedeutende Randerscheinung, sondern eine ernsthafte Belastung des freien Wettbewerbs ist.

Wahrscheinlich muss ich mir von dem Einen oder der Anderen den Vorwurf gefallen lassen, ich sei naiv und dies gehöre nun einmal dazu, dies sei die moderne Art des Wettbewerbs. Ja, es mag das formale Recht sein, so zu agieren. Es wird von den Handelnden genutzt, um die Wettbewerbsposition der eigenen Unternehmen zu verbessern – oder zumindest, um bei den Analysten die Hoffnung hierauf zu wecken. Auch das mag sein. Aber dieses taktische Gezocke bringt den Verbrauchern und der Volkswirtschaft keinen Mehrwert. Altmodisch hin oder her, ich bin für Gewährung und Ausübung von Rechten mit Augenmaß und für die Gemeinwohlbindung von Individualrechten, gerade um Exzesse zu vermeiden. Vor allem aber bin ich für die Freiheit der Wirtschaft und gegen alles, was diese Freiheit ohne Not einschränkt und damit die Leistungsfähigkeit langfristig beschränkt.

Wie geht es also weiter zwischen Apple, Samsung, Google & Co.? Es gibt mehrere Möglichkeiten. Es kann gut sein, dass es ähnlich wie mit dem Kalten Krieg endet. Irgendwann knickt eine Seite unter der Last ein. Vielleicht siegt aber auch die Vernunft aller Beteiligten und man sieht ein, dass es wenig sinnvoll ist, sich gegenseitig zu blockieren. Denn letztlich kann das für die Akteure ein gefährliches Spiel sein. Bekanntlich ist man vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand und die “Spieler” haben das Spiel nur bedingt im Griff. Da ist jede Menge Raum für äußerst unangenehme Überraschungen. Gerade in unserer schnelllebigen Zeit kann keiner der Beteiligten ausschließen, dass sich einmal mehr das alte Sprichwort bewahrheitet “wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte” – vielleicht jemand, den aktuell noch niemand auf dem Radar hat.

Also, aus Sicht der Konsumenten kann man sich nur wünschen, dass alle sich schnellstens wieder stärker darauf konzentrieren, durch gute Produkte in Wettstreit zu treten, statt sich gegenseitig – und damit Wettbewerb und Fortschritt – zu behindern. Denn: so ham wer uns dat nich vorjestellt!

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