Mein Bauch gehört mir?

Viele werden sich erinnern. Der Satz „Mein Bauch gehört mir“ war ein emotionaler Leitsatz in der Abtreibungsdiskussion der 80er Jahre. Frauen reklamierten damit das Recht, frei auch über das in ihrem Bauch zu entscheiden, nämlich über das ungeborene Leben. Persönlichkeitsrecht und Entscheidungs- sowie Handlungsfreiheit der Mutter im Widerstreit mit dem Lebensrecht des Ungeborenen. Eine wahrhaft gewichtige und für eine Seite sogar existentielle Entscheidung und daher notwendige Debatte.

Ungleich harmloser, aber streckenweise nicht weniger emotional, wird derzeit eine andere Diskussion über den Bauch geführt. Nein, ich meine nicht die über das eine oder andere Kilo, das die meisten zu viel haben. Ich meine auch hier das im Bauch – es geht ums Essen.

Ausgangspunkt ist ein scheinbar harmlose Satz im Wahlprogramm der Grünen: „Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein „Veggie Day“ sollen zum Standard werden.“ Irgendwie wissen wir ja (fast) alle, dass übermäßiger Fleischkonsum nicht gut ist. So lassen sich für einen „Veggie Day“, also für einen fleischlosen Tag, auch zahlreiche Argumente anführen. Egal ob ernährungsphysiologische oder ethische, ökologische oder entwicklungspolitische Gründe, etwas fleischärmer ist doch irgendwie gut, wenn man nicht gerade Lobbyist der „Fleischindustrie“ ist, oder? Warum also die Aufregung? Reines Wahlkampfgetöse?

Auf den zweiten Blick geht es neben Wahlkampfgetöse auch um die Frage nach dem generellen Staatsverständnis, um Begriffe wie Freiheit und Selbstbestimmungsrecht. Aus „ein „Veggie Day“ soll zum Standard werden“ wird nämlich nach Vorstellung führender Parteimitglieder der Grünen im nächsten Schritt die Vorschrift für Kantinen, einen „Veggie Day“ verbindlich einzuführen. Und da sind wir schnell bei gesetzlichen Eingriffen, nicht nur in die unternehmerische Freiheit der Gastronomen, sondern auch in die Entscheidungsfreiheit der Konsumenten. Beide Dimensionen sind relevant und führen zu Ende gedacht – wie jeder staatliche Interventionismus – zu spannenden Fragen:

Was ist mit Kantinen, die bereits einen hohen vegetarischen Anteil in der Woche haben? Werden diese auch reglementiert, ebenso wie die Kantinen in fleischverarbeitenden Betrieben? Gilt das Verbot auch für Biofleisch, oder kommt ein Ausnahmenkatalog? Wird auch der Verkauf von am Vortag produzierten Fleischgerichten verboten und muss eventuelle Überproduktion aus hygienischen Gründen dann vernichtet werden? Was ist mit dem fleischhaltigen Produkt, das sich in einem Verkaufsautomaten im Kantinenraum befindet – und bei veganer „Zwangsernährung“ – mit milchhaltigen Süßwaren in diesen Automaten, bis hin zum Austausch der Gummibärchen gegen die vegane Variante?

Wenn dies im nächsten Schritt auch für Restaurants gilt, was machen Steakhäuser eigentlich an diesem Tag – schließen? Gibt es dafür einen Ausgleich oder fehlen dem Unternehmer einfach 4/30 Umsatz (also gut 10 Prozent und damit oft genug das, was den Unterschied zwischen „Umkommen“ und „Durchkommen“ ausmacht)? Und wer überwacht die Einhaltung der Regelung (mit welchem bürokratischen Aufwand, von wem bezahlt)?

Natürlich stellt sich auch die Frage, warum die Verpflichtung nur für die Gastronomie diskutiert wird. Der überwiegende Anteil der Lebensmittel und auch des Fleischs wird nicht in der Gastronomie, sondern in Privathaushalten eingesetzt. Übrigens: während sich die Gastronomie unter Hinweis auf eine EU-Studie rühmt, weniger als 14 Prozent Abfallanteil bei Verarbeitung  und Konsum zu haben, kommen Privathaushalte hiernach auf 40 Prozent – welch ein gigantischer Hebel, um die Fleisch-“Produktion“ zurückzufahren! Aber wer möchte schon in Wahlkampfzeiten ernsthaft vorschlagen, den heimischen Kochtopf zu kontrollieren?

Und auch wenn der fleischfreie Tag sicher seine Vorteile hätte, kann und soll man die Menschen wirklich in jedem Lebensbereich „zu ihrem Glück zwingen“? Vieles wäre gesünder und auch aus ethischer Sicht angemessener. Viele individuelle Verhaltensweisen haben Auswirkungen auf andere. Wo ist die Grenze? Soll alles staatlich fest- und vorgeschrieben werden? Ist der Staat nicht verpflichtet, wenn er ein Ziel erreichen will, die wirkungsvollste und am wenigsten freiheitsbeschränkende Maßnahme zu ergreifen? Oft stellt sich diese Frage gerade im ökologischen Kontext. Ein Beispiel: Ist es sinnvoller, den CO2-Ausstoß im Inland mit immer weiter abnehmendem Grenznutzen zu bekämpfen oder wäre es besser, verstärkt andere Maßnahmen zu ergreifen, die wirksamer, günstiger und weniger freiheitseinschränkend sind? Kann man dem Menschen umfassend die persönliche Verantwortung für sein Handeln abnehmen, indem man verbindlich die Entscheidung für ihn trifft? Genau das sind die Fragen, die hinter der derzeitigen Diskussion stecken.

Auch wenn es scheinbar nur eine Kleinigkeit ist. Es ist die Summe der Mosaiksteinchen, die das Bild gestaltet – in diesem Fall das Bild des Staates, in dem man lebt. Der Empfehlung, nicht zu rauchen, folgte das Gebot, diese Empfehlung auf die Verpackung zu drucken und das Verbot zu werben. Der nächste Schritt in Nordrhein-Westfalen war das nahezu komplette Rauchverbot in öffentlich zugänglichen Gebäuden. Wenn im bevölkerungsreichsten Bundesland in einer Schischa-Bar oder Zigarrenlounge nur entweder geraucht oder ein Glas Tee oder Wein konsumiert werden darf, dann geht es nicht mehr um Nichtraucherschutz, sondern um Verhaltenserziehung Erwachsener. Noch weiter einschränkende Maßnahmen werden derzeit ernsthaft diskutiert. Der Empfehlung, weniger Fleisch zu konsumieren, folgt der „Veggie Day“ für Kantinen und dann der generell reglementierte Fleischverzehr. Am Ende steht ein Staat, der in allen Lebensbereichen für seine Bürger denkt und lenkt. Ein Staat, in dem ich nicht leben möchte.

Ein Staat, der Vieles für unterschiedlichste Lebensbereiche entscheidet, der hat Bürger, die nicht (mehr) für sich entscheiden wollen – und es auch irgendwann nicht mehr können. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Deutschland in den letzten Jahrzehnten vorangetrieben hat. Wenn der Staat weitgehend festlegt, was richtig und falsch ist, dann verkümmert das persönliche Wertesystem als Maßstab für eigenes und fremdes Handeln – staatliches Handeln und politische Fehlentwicklungen eingeschlossen. Die Konsequenz ist ein unkritisches uniformes „Ein-Verhalten-System“ mit schwindender Eigeninitiative.

Schon die Kinder werden in dieses Regelsystem integriert, wenn sie möglichst früh (verpflichtend?) in Krippe und Kindergarten kommen und danach die (verpflichtende?) G8-Ganztagsschule besuchen. Es folgt das verschulte Masterstudium für alle. Selektion nach Leistung ist ebenso wie Individualität über alle Stufen verpönt. Platz für humanistische Bildungsideale, für Studium generale und (Aus-) Bildung eines kritischen Geistes? Fehlanzeige! Wer meint, dies sei weit hergeholt, dem empfehle ich, sich die Bildungsdiskussion und die aktuellen bildungspolitischen Konzepte genauer anzusehen.

Zurück zum Bauch. Sicher ist es gut, dass die Diskussion um den „Veggie Day“ Fleischkonsum und Massentierhaltung in das Bewusstsein rückt. Wer nachdenkt, wird eigenverantwortlich seine Konsequenzen ziehen – wenn er es noch nicht getan hat. Das war es dann aber auch schon. Also, aus meiner Sicht gehört der Vorschlag, verbindlich einen „Veggie Day“ einzuführen, dahin versenkt, woher er gekommen ist: in das Sommerloch.

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