Der Durchbruch künstlicher Intelligenz macht es offensichtlich: Technik überwindet das Digitale, also die Beschränkung auf Null und Eins. Ausgefeilte Algorithmen verarbeiten riesige Datenmengen, berechnen Wahrscheinlichkeiten und erstellen vernetzt Prognosen. Gleichzeitig „erarbeitet“ sich Technologie definierte Erfolge und perfektioniert sich dabei eigenständig. Menschliche kognitive Fähigkeiten werden so imitiert: offenes Lernen, Abwägen und Differenzieren.
Und wir Menschen? Verfolgt man aktuell Diskussionen, so hört man selten „das ist ein guter Gedanke“ oder gar „das überzeugt mich“. Man hat kaum den Eindruck, dass zugehört wird, um Gedanken nachzuvollziehen, abzuwägen und zu lernen. Meinungen scheinen oft unabhängig von Argumenten zementiert. Für „grau“ bleibt kein Raum: Alles ist schwarz oder weiß, Feind oder Freund. Der Ton wird rau und konfrontativ, Anstand und Respekt im persönlichen Umgang schwinden.
Auch inhaltlich ist es ernüchternd: Komplexe Sachzusammenhänge werden irreführend vereinfacht. An die Stelle von Fakten und Wissenschaft treten oft Meinungen von Ahnungslosen und populistische Parolen. Gezielt werden vorgeblich „Schuldige“ für alles gesucht, und das nicht nur beim politischen Gegner. Es geht pauschalierend gegen „(alle) Ausländer“, „(alle) Moslems“ und gegen „das Woke“ (und was „woke“ sein soll und warum es schlecht sein soll, bleibt unklar). Viele schaukeln sich in ihren Meinungsblasen hoch. Und so entwickeln wir Menschen uns gegenläufig zur lernenden, intelligenter werdenden Technik – wir werden engstirniger, weniger vernetzt, weniger reflektiert.
Zugegeben, diese Beschreibung überzeichnet. Direktional zeigt sie jedoch den Weg, den wir gerade (zurück)gehen. Ursachen hierfür gibt es viele. Es liegt nicht nur an den sozialen Medien, die einen idealen Nährboden für Populismus und Konfrontation, für Ausgrenzung und Respektlosigkeit bieten. Ein wichtiger Treiber ist, dass diese Verhaltensänderung der ebenso zielgerichtete wie unselige Markenkern der AfD als größter Oppositionspartei im Bundestag ist: Sie verkürzt sinnentstellend, verdreht Tatsachen, pauschaliert sachfremd und Fakten sowie Wissenschaft ignoriert sie immer wieder – so hetzt sie auf und spaltet, bis hin zum offenen Rassismus.
Wirklich gefährlich wird es, wenn andere Parteien und Leitfiguren sich vor diesen Karren spannen lassen und nicht nur manipulative Begriffe und fehlgesetzte Themen aufgreifen, sondern das Verhaltensmuster teilweise übernehmen, statt gegenzuhalten. Leider ist genau das zunehmend zu beobachten und hierdurch wird es zum erlebten und immer mehr akzeptierten Normalverhalten. So verschiebt sich der common sense des angemessenen und sozial erwünschten Verhaltens – und damit das gesellschaftliche Klima. Wird die Entwicklung nicht unterbrochen, dann gefährdet sie ernsthaft unser friedliches Zusammenleben.
Wir alle wären gut beraten, dies nicht geschehen zu lassen. Es liegt an uns: Wir können im täglichen Umgang miteinander, und gerade auch in der politischen Diskussion, auf bewährte Standards des Diskurses und des Miteinanders zurückgreifen, die unseren Frieden und Wohlstand geschaffen haben und die sich jahrhundertelang bewährt haben: Zuhören. Offen und empathisch sein. Reflektieren. Differenzieren. Respektieren.
__________
Dieser Beitrag beruht auf einem am 16.8. in den Nürnberger Nachrichten und ihren regionalen Teilausgaben veröffentlichten Gastbeitrag. Ich danke dem Verlag für die Zustimmung zur Veröffentlichung hier auf meinem Blog.
Lieber Jörg, kann ich alles unterschreiben! Kompliment für Dein Engagement. Oberflächlich betrachtet kommt KI als ein nützliches Helferchen in dieser auf Wissensexpansion getrimmten Welt geradezu wie gerufen. Konkrete Fragen erhalten fixe Antworten – ein Turbo – Google. Worin also besteht die Gefahr? In der Verkürzung des Denkprozesses zwischen Erkenntnisinteresse und Ergebnis. Der Denkprozess, traditionell bestehend aus Recherche, Fehlern, Vergleichen, Fixierung, Analysen, Verwerfungen etc. wird zu Gunsten der schnellen Ergebnislieferung auf Null reduziert. Damit wird eigenes Denken und die Nachhaltigkeit des Behaltens und Erinnerns, quasi der Speicher im eigenen Kopf, ausgeschaltet. Was tun, um dem entgegen zu wirken?
Liebe Grüße
Joachim
Alles teils richtig und den Lauf der Zeit und Dinge erkannt.
Es macht auch mehr Sinn den normalen Menschen Verstand einzusetzen und logisch zu hinterfragen aber auch zu reflektieren.
Social Media und die Technik hat seine Tücken und MainStream muss längst nicht immer richtig sein.
Nein- meist zählt das Gegenteil.
Kritisch Dinge in Frage stellen und dann Position beziehen und Klarheit erzeugen!
Und die Wahrheit ist fast immer bekannt auch wenn es dann unbequem ist!
Schön, das Sie uns immernoch herrausfordern!
Als Rentner kann ich mir die Zeit nehmen, denkend eine vernünftige Antwort zu formulieren. Wobei in diesem Satz schon zwei Probleme liegen. Der Mensch benötigt Zeit zum Nachdenken und Zeit um eine eindeutige Antwort zu formulieren. Hinzu kommt, wegen des Wissenszuwachs, eine notwendige Recherche vor jeder Antwort. – Das schaffen Politiker, selbst mit Unterstützung von hunderten Zuarbeitern, offenbar nicht mehr. – Jetzt KI (Keine Intelligenz) zu vertrauen, erscheint mir unvernünftig. KI hat kein Impressum und keine Kontrolle. Alternativ helfen die Zeit und Hirn fressenden sozialen Medien (TikTok u. Co) auch nicht weiter. – – – Mir macht diese Entwicklung Angst – ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, die nächste Generation nicht richtig vorbereitet zu haben.