Zeitungsausschnitt, oben ein Bild mit vier Fingern, auf deren Spitzen Weihnachtsmann-Mützen sind und die diskutierende Gesichter aufgemalt haben. Der verpixelte Hintergrund erinnert an den beleuchteten Baum an Weihnachten. Darunter der Bildtext "Gerade an Weihnachten gibt es die Chance, fair zu streiten - dafür plädiert Jörg Ehmer, Manager aus Schwabach, in seinem Gastbeitrag. Man liest darunter die Überschrift des Artikels "Lasset uns streiten!"

Lasst uns an Weihnachten streiten

An Weihnachten streiten? Warum? Weihnachten ist doch das Fest der Liebe und Streit gibt es sonst oft genug, oder?

Ja, es gibt in der Welt mehr als genug Streit. Aber das ist nicht die Art Streit, die gemeint ist. Als Gesellschaft verlernen wir immer mehr die respektvolle Auseinandersetzung auf Augenhöhe, den konstruktiven Austausch abweichender Meinungen und die Suche nach Gemeinsamkeit und Ausgleich. Die Ursachen sind vielfältig. Begegnungsräume wie Vereinsleben schwinden und die Meinungsblasen der sozialen Medien verstellen den Blick darauf, dass andere Menschen eine andere Sicht haben. Häufigkeit und Schärfe anonymer Beschimpfungen im digitalen Raum nehmen zu.

Wenn wir also an Weihnachten streiten, dann bitte mit der Einstellung, dass eine gute Diskussion davon lebt, dass das Gegenüber auch einmal Recht haben könnte. Oder wenigstens gute Gründe für eine andere Meinung hat, die zum Nachdenken anregen.

Gleichzeitig gilt: Bei allem Recht auf eine eigene Meinung, es gibt Themen, bei denen es nicht um eine Meinung geht. Keiner hat ernsthaft eine „Meinung“ zur Relativitätstheorie Einsteins, weil sie wissenschaftlich bewiesen ist. Und ebenso wenig sollte jemand eine Meinung zum „ob“ des Klimawandels haben – dass er existiert, ist wissenschaftlich bewiesen. Un genauso klar ist, dass Deutschland Zuwanderung braucht: In den nächsten 12 Jahren gehen rund 20 Mio. Babyboomer in Rente, nur gut die Hälfte rückt durch jüngere Generationen nach – Stichwort demographischer Wandel. Diesen Unterschied zwischen Meinung und Fakten gilt es klarzustellen, damit das Gespräch Sinn macht. Und vielleicht ist dieses Klarstellen bereits der Auftakt zu einem guten Dialog.

Angesichts der persönlichen Nähe können die, die gemeinsam Weihnachten feiern, Themen besprechen, bei denen Dritte sich gegenseitig nicht erreichen. Egal ob es um Klimawandel, um tradierte Werte oder um Generationengerechtigkeit geht, Gesprächsstoff gibt es genug. Das gilt auch für Extreme: Auch wenn man mit Anhängern von Verschwörungsideologien nur ungern über deren irrationales Modell diskutiert, schafft es vielleicht die besondere Konstellation an Weihnachten, die Türe einen Spalt weit öffnen, um sie aus dieser Gedankenspirale zu befreien.

Bei alledem gilt das, was für jede ernsthafte Debatte gilt: Es gibt genau zwei Möglichkeiten, in ein solches Gespräch zu gehen – Vorbereitet oder überhaupt nicht. Idealerweise ermöglicht man den anderen auch die Vorbereitung; vielleicht durch Zusendung dieses Artikels?

Zur Vorbereitung gehört nicht nur, sich inhaltlich vorzubereiten, sondern auch, klarzumachen, was es zu vermeiden gilt. Ein respektvoller Streit verlangt aktives Zuhören – es geht nicht darum, zu „gewinnen“ und uneingeschränkt Recht zu behalten. Triggerpunkte, die nur zur emotionalen Eskalation führen, sollten unbedingt vermieden werden. Gleichzeitig wichtig: Falsche „Harmonie-Soße“ hinterlässt einen schlechten Beigeschmack und verdirbt das Essen. Sie kleistert nur etwas zu, das einem nicht schmeckt. Das sollten wir uns ersparen, nicht nur an Weihnachten.

Also: Lasst uns an Weihnachten streiten – respektvoll und auf Augenhöhe.

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Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in den Nürnberger Nachrichten und ihren regionalen Teilausgaben, wie dem Schwabacher Tagblatt. Ich danke dem Verlag für die Zustimmung zur Zweitveröffentlichung.

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