Das Bild zeigt viele Personen in einem angedeuteten Raum, unten zwei Reihen Menschen, die auf ihre Handys starren, darüber zwei Gruppen, die jeweils in einer Gruppen-Blase sich ohne Kontakt gegenüberstehen. Die beiden Blasen sind getrennt, dazwischen ein Blitz. Am oberen Rand mehrere Symbole für soziale Medien, diese befinden sich auch in den jeweiligen Blasen.

Raus aus der Blase

Wann haben Sie sich zum letzten Mal intensiv mit einem Menschen ausgetauscht, der eine andere Meinung, Weltanschauung oder einen ganz anderen sozialen Hintergrund als Sie hatte? Leidenschaftlich diskutiert, auf Augenhöhe und in gegenseitiger persönlicher Wertschätzung? Wenn Sie sich diese Frage stellen, könnte die Antwort ernüchternd ausfallen. Und damit sind Sie nicht allein.

Früher waren vor allem Institutionen wie Vereine und Kirchen oder auch Wirtshäuser Orte, die es Menschen ermöglicht haben, sich in ihrer Vielfalt zu begegnen, sich aneinander zu reiben und voneinander zu lernen. Heute ist die Bedeutung dieser Einrichtungen massiv zurückgegangen und damit ist auch ihre Rolle als Begegnungsstätten und soziale Brückenbauer in der Gesellschaft teilweise verlorengegangen. 

Die Blase

Gleichzeitig haben sich Internet und soziale Medien als scheinbar endlose Quelle für Informationen und Meinungen etabliert. Was zunächst wie eine Verheißung unbegrenzter Vielfalt erschien, hat sich als Algorithmus-gesteuerter Verstärker der eigenen Gedankenwelt entpuppt. Statt von einem breiten Spektrum an Perspektiven zu profitieren, bewegen wir uns in Filterblasen, die nur das widerspiegeln, was wir ohnehin denken und glauben. Und mit jedem Klick und Like wird dieser Effekt verstärkt.

Die Konfrontation mit konträren Perspektiven findet immer seltener statt. Die Verstärkung der eigenen Gedankenwelt verdrängt den konstruktiven Austausch mit Andersdenkenden. Auch aufgrund der gefühlten Anonymität nimmt die Diskussion an Schärfe und Härte zu, angetrieben von Trollen und agitierenden Bots.

Der Arbeitsplatz als Platz der Begegnung

In der gesellschaftlichen Realität wird damit oft der Arbeitsplatz zu einem der letzten Orte des (friedlichen) Aufeinandertreffens unterschiedlichster Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten. Und damit wird er im Idealfall zum Refugium des konstruktiven Austauschs und der Bereicherung durch Andere.

In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft tragen Unternehmen auch in dieser Hinsicht eine wachsende Verantwortung. Sie entwickeln sich zu entscheidenden sozialen Knotenpunkten: Das gelebte Miteinander, der demokratische Diskurs, das Zusammentreffen vielfältiger Individuen finden in den Kaffeeküchen und Pausenräumen, bei Betriebsausflügen, in Meetings und in Teamchats statt.

Vielfalt und Diskurs als Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit

Unternehmen spielen damit eine immer wichtigere Rolle für das Miteinander in unserer vielfältigen Gesellschaft – auch über den Betriebsalltag hinaus. Das begründet nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch eine strategische Chance: Gelingt es, Menschen mit diversen Hintergründen zu vereinen und sie zum Austausch zu ermutigen, fördert das nicht nur unser aller Zusammenleben.

Unternehmen profilieren sich damit auch positiv auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt und profitieren von besseren, weil vielschichtiger durchdachten Lösungen. Denn Talente mit unterschiedlichen Geschichten und Ansichten, mit unterschiedlicher Herkunft und Prägung finden vielfältigere, innovativere und praxistauglichere Wege. Und das gilt umso mehr im Wettbewerb um Kundenzielgruppen, die ihrerseits ebenfalls immer diverser werden. Diversität wird in vielen Fällen ein zentraler Erfolgsfaktor, der mit über die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens entscheidet.

Auswirkungen auf den Arbeitsalltag und Herausforderungen

So klar der Nutzen ist, Unternehmen und ihre Führungskräfte stehen vor großen Herausforderungen, wenn es darum geht, Diversität und offenen Austausch zu fördern. Es bleibt nicht ohne Konsequenzen, dass Mitarbeitende aus ihrem sozialen Umfeld und dem gesamtgesellschaftlichen Erleben immer weniger gewohnt sind, konstruktiv Meinungen auszutauschen, zu reflektieren und auch Kompromisse zu suchen. Wenn sie im Alltag immer weniger auf andere eingehen und gemeinsam, um die beste Lösung ringen, dann hat das auch Auswirkungen auf die Realität am Arbeitsplatz. Konsequenzen können verstärkte Silobildung und wachsende Bereichsegoismen sein oder ein verengtes Kommunikationsverhalten und ungelöste Konflikte zu Lasten Dritter. Auch weil die Bereitschaft schwindet, für einen Gesamtprozess oder ein Ergebnis übergreifend Verantwortung zu übernehmen.

Eine weitere große Herausforderung für Führungskräfte besteht darin, einen Weg zu finden, eskalierende Konflikte aus dem privaten Umfeld zu managen. Wenn der Arbeitsplatz zunehmend zum einzig analogen Kontaktpunkt wird, dann ist Konfrontation fast unvermeidlich:

Wie geht man damit um, wenn bei Ausbruch des russischen Angriffskriegs, Russen und Ukrainer im Büro gegenübersitzen? Wie, wenn beim Überfall der Hamas auf Israel, Menschen, die aus dem Kampfgebiet stammen, nebeneinander an der Werkbank stehen? Und wie steuert man ein friedliches Miteinander, wenn es sich ergibt, dass ein Mensch aus kulturell homophob geprägtem Umfeld eng mit einem homosexuellen Menschen arbeitet?

Auf diese Fragen gibt es keine Musterantwort. Aber für Führungskräfte ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und einen Weg aufzuzeigen. Ohne engagierte Führungskräfte, die sich mit diesen Konflikten empathisch auseinandersetzen und die die Entwicklung zu mehr Diversität aktiv treiben, bleiben Vielfalt und friedliches Miteinander oft nur Lippenbekenntnisse.

Hier zeigt sich die Bedeutung einer wertebasierten Unternehmensführung. Der klare Wille zur Veränderung, Neugier und Lernbereitschaft müssen als zentrale Unternehmenswerte verankert und Perspektivenvielfalt als wertvolle Ressource erkannt und kultiviert werden. Und das muss alltäglich unter Beweis gestellt werden. Denn Veränderung geschieht nicht von allein, und ein Unternehmen wird nicht automatisch diverser und damit bunter. 

Diversität ist eine Frage des Willens

Diversität ist vor allem eine Frage des Willens. Sie bedarf ständiger Anregungen, Denkanstöße, aber auch konkreter Initiativen. Werte müssen jeden Tag und bei jeder Entscheidung kommuniziert und gelebt werden. Nur wenn sich alle zugehörig fühlen und ihre Stärken einbringen können, wird Vielfalt ein Erfolgsfaktor. Das Ziel lautet Inklusion und Miteinander.

Unternehmen sind nicht nur wirtschaftliche Akteure, sondern auch gesellschaftliche Gestalter. Es liegt in unserer Verantwortung, die Vielfalt unserer Belegschaft und den friedlichen Umgang miteinander zu fördern – und dadurch einen Beitrag zu einer offenen und vielfältigen Gesellschaft zu leisten. Die Unternehmen, die diese Verantwortung ernst nehmen und die Stärken und Potenziale einer vielfältigen Belegschaft als strategischen Vorteil nutzen, sind nicht nur gesellschaftlich Vorbilder, sie werden auch wirtschaftlich erfolgreicher sein.

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Dieser Beitrag „Raus aus der Blase“ wurde diesen Monat erstveröffentlicht als Gastbeitrag im Magazin Business Punk https://www.business-punk.com/2024/09/raus-aus-der-blase/. Das Spannungsfeld zwischen Meinungs-Blase und offenem Dialog bewegt mich schon lange. Mehr denn je bin ich überzeugt: Wir müssen raus aus dieser Blase. Auch daher habe ich auch den Weg eines Gastbeitrags auf einer spannenden Plattform gewählt, um ein noch breiteres Publikum anzusprechen.

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