Das Bild zeigt zentral und groß das Coverblatt "Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland" und kleiner einen Screenshot der Bundesgesetzblatts mit der Veröffentlichung des Cannabisgesetz sowie oben rechts in der Ecke eine Cannabispflanze.

Cannabisgesetz und Rechtsstaatsverständnis

Die Diskussion um das Cannabisgesetz wird leidenschaftlich geführt. Von außen betrachtet ist es erstaunlich, welche Emotionen dieses Thema weckt. Und bemerkenswert ist auch, wie sehr sich die Diskussion oft mehr an persönlicher Überzeugung und Weltanschauung orientiert, als an Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Aber um all das soll es hier ebenso wenig gehen, wie um meine persönliche Meinung zu der Frage, ob die neue Gesetzeslage richtig oder falsch ist, zu weit geht oder zu kurz gesprungen ist. Mich beschäftigt eine andere Facette dieses Themenkomplexes, zu der ich mit diesem Blogbeitrag einen Denkanstoß geben möchte:

Nach einem langen Gesetzgebungsverfahren wurde letztlich ein Gesetz beschlossen, das von beträchtlichen Kompromissen aller Beteiligten geprägt ist. Dies ist in einem Gesetzgebungsprozess, in den Bundestag und Bundesrat eingebunden sind, nicht außergewöhnlich. Gerade bei gesellschaftlich umstrittenen Themen soll nach dem Willen unseres Grundgesetzes das Gesetzgebungsverfahren unter breiter Beteiligung der Verfassungsorgane eine befriedende und einende Wirkung haben. Das gilt nicht nur für die Bevölkerung, sondern vor allem auch für alle Träger hoheitlicher Gewalt:

Wenn die verfassungsgemäß dazu berufenen Organe eine derartige Streitfrage kraft ihrer Kompetenz geregelt haben, dann gebietet es der Respekt vor der rechtsstaatlichen Ordnung, dass alle Träger hoheitlicher Gewalt dieses Gesetz beachten und den getroffenen Kompromiss akzeptieren.

Man mag meinen, dass dies selbstverständlich ist. Leider zeigt die Praxis, dass das in Sachen Cannabisgesetz nicht der Fall ist:

Presseberichten kann man entnehmen, dass erste Kommunen die Ausnahmevorschriften des mühsam gewonnen Kompromisses nutzen, um faktisch den Sinn des Gesetzes zu untergraben und ihre Sicht der Dinge an die Stelle der gesetzlich festgelegten Regelung zu setzen. Etwas konkreter:

Das Cannabisgesetz sieht unter anderem vor, dass Cannabis auf Kinderspielplätzen und in deren Sichtweite nicht konsumiert werden darf (§ 5 Abs. 2 Nr. 2. CanG) und dass Cannabis-Anbauvereine nicht in der Nähe von Kinderspielplätzen betrieben werden dürfen (§12 Abs. 1 Nr. 6 CanG). Genau diese Einschränkung nutzen Gemeinden nun, um durch den offensichtlich nur diesen Zweck verfolgenden Bau eines kleinen Spielplatzes zusätzliche Verbotszonen zu schaffen. Das Ziel: damit faktisch das Gemeindegebiet möglichst großflächig in eine Verbotszone zu verwandeln und die Errichtung von Cannabis-Anbauvereinen zu unterbinden. Was auf den ersten Blick für die Kritiker des Gesetzes als clever erscheinen mag, ist auf den zweiten Blick höchst bedenklich:

Zunächst einmal ist es mehr als befremdlich, dass die Abneigung gegenüber Cannabiskonsum etwas bewirkt, was sich vorher viele Eltern vergeblich gewünscht haben: mehr Spielplätze. Plötzlich geht, was vorher nicht ging. Oder es werden Spielplätze an unsinnigen Stellen als reines Mittel zum Zweck installiert. Die Vertreter der Kommune machen sich erkennbar nicht einmal die Mühe, dies zu bestreiten.

Es ist offenkundig, dass diese Form des nur scheinbar cleveren Widerstandes gegen das Cannabisgesetz nicht nur der individuellen Kreativität entspringt. In dieses Bild passt es, wenn der Ministerpräsident von Bayern über X verlauten lässt „Wir lehnen die Legalisierung von Cannabis ab und werden in Bayern maximal restriktiv gegen die Droge vorgehen“, oder noch klarer: „Bayern wird sich an allem beteiligen, was das Gesetz stoppen oder verzögern könnte.“ Deutlicher kann der Regierungs-Chef eines Bundeslandes nicht machen, dass er eine rechtsstaatlich von den zuständigen Organen (unter Beteiligung der „Länderkammer“ Bundesrat) getroffene Entscheidung missachten und bekämpfen wird – mit allen Mitteln.

Unabhängig davon, wie man zu den neuen gesetzlichen Bestimmungen steht, die hier zutage tretende Missachtung der Kompetenzzuweisungen des Grundgesetzes, unserer Staatsverfassung und des Rechtsstaates durch Kommunen und staatstragende Exekutivorgane der Länder ist besorgniserregend:

Das Grundgesetz gewährt den Kommunen in Artikel 28 des Grundgesetzes das Recht zur Selbstverwaltung – aber nicht das Recht, außerhalb ihrer Kompetenz geschaffene und für sie verbindliche Regeln zu torpedieren. Die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung stellt das Grundgesetz durch detaillierte Vorgaben zu Beteiligungsrechten sicher. Der Bundesrat ist hier das entscheidende Beteiligungsgremium der Länder bei der Bundesgesetzgebung. Niemand bestreitet, dass die Beteiligungsrechte des Bundesrates gewahrt wurden. Und damit ist die Sache entschieden.

Ein Träger hoheitlicher Gewalt, der das nicht akzeptiert, ist nicht nur ein „schlechter Verlierer“, er zeigt, dass er die Staatsverfassung und das fein ausgewogene Verhältnis der unterschiedlichen Staatseben hinter seine Ansicht und hinter seine Interessen stellt. Auch wenn dies mit unterstellt bestem Willen erfolgt, es bleibt in der Sache falsch und ein Angriff auf die Verfassung. Demokratie und Rechtsstaat sind eben nicht nur dann zu akzeptieren, wenn man die Entscheidung für richtig hält.

Der Weg derartige Entschlüsse zu verändern, ist, ausgestattet mit einer entsprechenden Mehrheit und demokratischen Legitimierung eine abweichende Gesetzeslage herbeizuführen. Taschenspielertricks und populistisches Getöse sind hier fehl am Platz. Sie sind ein weiterer Baustein zur Spaltung der Gesellschaft und Schwächung unseres Staates. Das sollte sich für alle aufrechten Demokratinnen und Demokraten verbieten – auch wenn es noch so schwerfallen mag.

Ein Kommentar

  1. Guten Tag Herr Dr. Ehmer,
    leider keine Ausnahme, wie die Kommunen verfahren: da werden Gesetze manchmal “zurechtgebogen”: In Koblenz sollte eine Motorradbatterie zur Entsorgung nach dem europäischen Batteriegesetzt abgegeben werden (gegen Quittung, damit die 7,50 Pfand vom Verkäufer zurückgezahlt werden). Die Batterie kann kostenlos abgegeben werden, für die Quittung werden 5,- EUR Bearbeitungsgebühr verlangt (Quittung = Stempel auf dem Verkaufsbeleg). Lt. SGD-Nord ist das in Ordnung, weil im Gesetz nicht ausdrücklich steht, das dies kostenlos zu erfolgen hat. Hier wird auch durch die Hintertür ein Gesetz ausgehebelt. Da könnte ich noch ein paar Dinge nennen. Schuld ist aber oft der Gesetzgeber, der die Gesetzte nicht präzise genug ausarbeitet.
    Viele Grüße Jürgen Bennewitz

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