Gefährliche Schwätzer

Kaum zu glauben, welche Mühe sich die NSA und zahllose andere geheime Dienste aller Nationen machen, um vertrauliche Informationen zu erhalten. Die Snowden-Veröffentlichungen haben leidenschaftlich geführte Diskussionen in Gang gesetzt. Selbst die meisten „Hardliner“ dürften angesichts des Ausmaßes der Überwachung ein „flaues Gefühl im Magen haben“ – unbeschadet aller rationalen Argumentation à la „Sicherheit durch Überwachung, ich habe nichts zu verbergen…“. Empfindsameren Zeitgenossen drängt sich das Orwellsche Bild “1984” auf, und die Empörung über das Realität gewordene „big brother is watching you“ ist groß. Ebenso berechtigt wie dies, ist die Sorge der Wirtschaft, die Überwachung könnte dem gezielten Ausspähen von Betriebsgeheimnissen dienen.

Nun kommen also die Nachrichtendienste politisch unter Druck. Selbst wenn dies jedoch dazu führte, dass die Überwachung komplett eingestellt würde – was natürlich nicht passieren wird – die größere Gefahr für die Privatsphäre und den Schutz von Betriebsgeheimnissen wäre damit in vielen Fällen nicht gebannt. Und damit meine ich nicht nur, dass manch einer freiwillig mehr über sich in sozialen Netzwerken preisgibt, als ein Geheimdienst je herausfinden könnte (…wenn es denn jemanden interessierte). Verlässt man diesen Privatbereich, so wird die Masse aller Betriebsgeheimnisse nicht dadurch bekannt, dass jemand Telefonate abhört, in das Unternehmensnetzwerk eindringt und Daten abzieht. Die meisten Geheimnisse werden ausgeplappert – böswillig oder arglos.

Die böswillige Weitergabe von Informationen durch frustrierte, geld- oder geltungsbedürftige Mitarbeiter ist ein bekanntes Problem. Die Dimension und die Konsequenzen dieses Lecks dürften aber häufig unterschätzt werden. Mindestens genauso spannend ist aber die Gruppe derjenigen, die arglos plappern – mit anderen Worten: die Gruppe der gefährlichen Schwätzer. Jeder, der gelegentlich mit Zug oder Flugzeug geschäftlich unterwegs ist, weiß wovon ich rede.

Es ist unglaublich, mit welcher dummdreisten Naivität Tag für Tag in den Flughafen-Lounges und Wartebereichen sowie im Zug Telefonate über vertrauliche Themen geführt werden. Dies erfolgt nicht etwa mit gesenkter Stimme und unter Vermeidung von Namen. Nein, es wird laut und deutlich gesprochen – man muss ja gegen das Hintergrundgeräusch der anderen Schwätzer anreden.

Und im Gegensatz zu den Anfängen der mobilen Telekommunikation handelt es sich auch nicht etwa um das postpubertäre Geplapper von Menschen, die gerne mehr Bedeutung, Macht und Einfluss hätten, als sie tatsächlich haben. Nein, es sind oft eher diejenigen, die wohl wirklich an den Schaltstellen sitzen. Ehrenvoll ergraut, gut gekleidet und mit der Aura des Top-Managers. Oder es sind Berater, gerade auch solche namhafter Beratungsgesellschaften (und auch hier eher nicht die Junioren). Da reden Aufsichtsräte über (angeblich) unfähige Vorstände und gescheiterte Projekte, Banker über Kunden, denen die Insolvenz droht, Geschäftsführer über ungeeignete Bereichsleiter und Bereichsleiter ziehen über Kollegen oder ihre Abteilungsleiter her. Berater hingegen reden leidenschaftlich gerne Klartext über ihre Kunden, wie unprofessionell diese arbeiten und wie überfordert das Management ist.

Wer glaubt, im Flugzeug wäre es besser, der irrt. Heerscharen von IT-Profis bemühen sich bis hin zum Sichtschutz auf dem Notebook-Display um Vertraulichkeit und Geheimnisschutz. Aber was hilft es, wenn der Sitznachbar seine ausgedruckten Powerpoint-Folien und Excel-Tabellen in der beengten Sitzplatzsituation liest und ausbreitet? Nichts! Da wirkt auch das auf jede Seite aufgedruckte „strictly confidential“ eher befremdlich.

Jedes Mal, wenn mir auf diese Art die Teilhabe an vertraulichen Informationen aufgezwungen wird, frage ich mich, wie sorgsam diese Menschen sonst agieren. Man kann für alle Beteiligten nur hoffen, dass sie sonst mehr Professionalität walten lassen. Wahrscheinlich ist dies sogar so. Umso unverständlicher, warum es auf Reisen bei Manchen derart aussetzt.

Lässt man einmal die geschäftlichen Risiken und möglichen Peinlichkeiten außer Acht, so ist es letztlich auch eine Frage des Alltagsanstandes, seine Mitreisenden nicht derart zu belästigen. Also, liebe Leser, beobachten Sie einmal Ihr eigenes Kommunikationsverhalten: sollten Sie wider Erwarten zu den hier Gescholtenen gehören, so können Sie dies einfach ändern.

3 Kommentare

  1. Fürwahr.
    Dennoch wozu bedarf es einer NSA, wenn die Entitäten dieses Planeten ihre Toilettenbesuche freiwillig und zeitlich getaktet ausplaudern und etwas später ihre Nachkommen öffentlich präsentieren als wöllten sie den fäkalen Abgang durch ihre Zöglinge wieder kompensieren?!

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