Auf den ersten Blick scheint Apple das zu sein: unschlagbar. In allen Ranglisten für Marken- und Unternehmenswerte rangiert Apple auf einem der vorderen Plätze, wenn nicht auf dem ersten Rang. Der Markenwert wird von Experten auf über 150 Milliarden Euro geschätzt. Und wann immer jemand ein Beispiel für eine perfekte Vermarktung und eine echte Pull-Marke geben möchte, ist Apple schnell zur Hand. Doch ist wirklich alles brillant, einfach perfekt – oder ist aus dem Apfel schon mehr als ein Stück herausgebissen?
Richtig ist sicher, dass die Marke nach wie vor eine sehr hohe Strahlkraft hat, dass es eine große Gemeinde von Fans und Markenbotschaftern gibt und dass viele Produkte faszinierend sind. Doch die eine oder andere dunkle Wolke am einst makellos strahlenden Apple-Himmel zieht auf. Kam man beim Vermarktungsstart des iPhone 4 in China noch durch Verletzte beim Massenansturm der Kunden in die Schlagzeilen, so war es beim iPhone 5 eher die Prügelei und die zugrundeliegenden Arbeitsbedingungen beim lokalen Produktionspartner. Gerade Lifestyle-Marken dürfen sich hinsichtlich ihrer Geschäftsethik immer weniger Ausreißer erlauben. Die Maßstäbe sind sehr hoch und dies bekommt Apple – nach langer Immunität – zunehmend zu spüren. Das rheinische „man muss och jönne könne“ gilt offenkundig gegenüber besonders erfolgreichen Marktteilnehmern nicht: Schlechtes wird gerne berichtet und da kommt es gerade recht, dass angeblich wegen schwacher Verkaufszahlen Komponentenbestellungen bei Vorlieferanten des iPhone 5 storniert wurden – ein Hauch von kollektiver Schadenfreude liegt in der Luft.
Tatsache ist: Bei der Hardware sind die Zeiten vorbei, zu denen nur ein Produkt mit dem Apfel schön und begehrt war. Am größten ist die Dominanz derzeit noch bei Tablets. Bei Smartphones gibt es längst kompetitive Modelle von Samsung, LG, HTC und anderen. Und wenn ich mir beispielsweise das acer Aspire S7 ansehe, dann gibt es durchaus zunehmend Alternativen zum MacBook Air – übrigens auch von Sony, Toshiba, Samsung…
Die Apple-Hardware war bei Licht betrachtet aber immer „nur“ die außerordentlich schöne Verpackung für einen einzigartigen Inhalt. Apple hat lange Zeit mit Abstand besser als jeder Wettbewerber verstanden, was Kunden wirklich wollen. Das gilt in erster Linie für das, was man user interface nennt. Mit anderen Worten: Apple hat es seinen Kunden ermöglicht, die Leistungsfähigkeit moderner Technologie intuitiv zu nutzen und komfortabel Mehrwert zu ziehen. Jeder, der Steve Jobs Biografie gelesen hat, weiß, wie besessen der Mann davon war, seinen Kunden das Leben leichter und angenehmer zu machen, perfekte Produkte zu erschaffen und die Menschen nicht nur zufrieden zu stellen, sondern sie zu begeistern.
Dies erklärt auch den Erfolg des ersten iPhone. Es war etwas total Neues, sogar ein category-killer, der Nokia und RIM bitter vom Thron gestürzt hat und lange Zeit das Maß der Dinge war. Und genau das ist eben das aktuelle iPhone 5 nicht mehr. Sicher, viele Nutzer finden es gut, manche auch sehr gut. Aber es ist nicht wirklich etwas Besonderes. Enttäuschte Nutzer klingen so: Die Form ist überholt, das Display ist im Vergleich zum aktuellen Standard zu klein, die Änderung der Anschlussbuchse ist ein Ärgernis, nicht alle modernen LTE-Datenbänder werden bedient, die eigene Kartenapp war eine Peinlichkeit und die Sprachsteuerung bleibt auch (noch) weit hinter dem zurück, was man als ausgereifte Technologie und begeisternden Mehrwert bezeichnen kann.
Auch der proprietäre Ansatz des iOS Betriebssystems, der letztlich die hervorragende produktübergreifende Nutzerfreundlichkeit und Sicherheit ermöglicht, wird zunehmend kritisch hinterfragt – einer der Gründe dafür, dass Wettbewerber Google mit Android mittlerweile Apples iOS als Smartphone-Betriebssystem deutlich überholt hat.Und mal schauen, was Windows 8 im B2B-Bereich noch bewegen wird. Der Inhalt des aktuellen IPhone, das Betriebssystem, liefert kaum noch mehr Vorteile gegenüber den anderen Betriebssystemen als es umgekehrt der Fall ist.
Genau da liegt das Problem: Wenn das, warum Kunden zu Fans (am Rande des Sektierertums) wurden, schwindet, verblasst die Kraft der Marke und die Tür wird geöffnet für Kritik, gegen die man zuvor immun war. Für Premium reichen einigermaßen zufriedene Kunden nicht aus. Premiumprodukte und Premiumpreise erfordern Begeisterung der Kunden. Begeisterung, die durch einzigartige Leistungen erzeugt wird. Wenn alle sehr gut sind, dann reicht „sehr gut“ nicht aus, denn das ist dann nur Mittelmaß, gewöhnlich eben. Und damit entfällt die Grundlage für Premium und Begeisterung.
Durch das Internet und die schwellen- und grenzenlose Kommunikation wird alles schneller. Auch die Verbreitung kritischer Botschaften und der Aufbau einer gruppendynamisch gesteuerten Begeisterung für etwas Neues. Kundenvorlieben verändern sich immer rasanter, Loyalität wird fragiler. Wer gestern noch genau erkannte, was die Kunden wollen (oder noch besser: wollen, ohne es zu wissen und artikuliert zu haben), der kann heute schon zu sehr in seinen eigenen Gedanken und Modellen gefangen sein, sich zu sehr in seinem eigenen Erfolg sonnen, um zu erkennen, dass sich etwas sehr schnell dreht.
Manchmal sind es auch Kleinigkeiten, die eine mühsam aufgebaute Reputation beschädigen. Genau das habe ich zum Jahreswechsel auch bei Apple beobachtet. Was? Davon werde ich in meinem nächsten Blog-Beitrag berichten. In diesem werde ich aber nicht nur durch meine Brille schauen, sondern auch durch die meines mittleren Sohnes – denn er ist im Gegensatz zu mir in diesem Jahrtausend geboren und damit noch dichter an einer sehr wichtigen Zielgruppe.
Also, klicken Sie wieder rein – und bis dahin heißt es nach Cupertino: Vorsicht an der Bahnsteigkante, Türen schließen selbsttätig!
P.S. Die Zeit bis zum zweiten Teil dieses Blogbeitrags lässt sich bei Interesse auch gut mit einem Blick auf meinen letztjährigen Blog-Beitrag zum Thema iOS/Android überbrücken: In der Zange.
Sehr gut geschrieben und es trifft die Sache auf den Punkt. Der Nimbus Apple hat Kratzer. Die Konkurrenz legt zu. Es wird erstmals seit Jahren wieder spannend in Punkto Apple.
Als Wettbewerber von Apple habe ich den Beitrag natürlich mit Freude gelesen. Ich bin davon überzeugt, dass viele Hersteller die Lektion aus Apples Erfolg gezogen haben und es in Zukunft genügend Alternativen zu Apple geben wird. Auch wenn Windows 8 noch nicht den durchschlagenden Erfolg aufweist, bietet das Betriebssystem den Herstellern dank “Touch und Type” die Möglichkeit neue Formfaktoren auf dem Markt zu platzieren. Die “Convertibles“ werden eine neuen Trend setzen und diese Innovation kommt diesmal nicht von Apple.
Wilfried Thom
Hallo,
auch wenn der Artikel jetzt fast sieben Jahre alt ist, ist er heute wichtiger denn je. Gerade jetzt, wo Apple das iPhone 11 vorgestellt hat, ist erkennbar (wie jedes Jahr), dass es keinerlei Innovationen mehr gibt. Es gibt stetig nur Optimierungen, bessere Kamera, besser hier und besser da…. Und guckt man sich mal das Ranking der Marktführer heute an, dann sieht man HTC und Sony wo genau? Und was ist mit Huawei und Xiaomi?
Der chinesische Handymarkt boomt und hier gibt es immer wieder Innovationen, ich sag nur InDisplay Fingerabdrucksensor, oder die bevorstehende InDisplay Frontkamera… Das sind jetzt zwar keine Wunderwerke, aber es ist innovativ.
Warum sonst verlegt Apple sein Kerngeschäft jetzt auf neue Sparten? Das iPhone zieht nicht mehr so… und es wird die nächsten Jahre nicht besser werden…
Davon bin ich überzeugt.
LG Gerd