Von Seniorenhandys und Frauenzonen

Scheinbar gute Produkt- und Vermarktungsideen scheitern oft daran, dass sie die Interessen und vor allem die Befindlichkeiten derjenigen außer Acht lassen, die die Kaufentscheidung treffen. Ein Beispiel: Seit es Handys gibt, stören sich Menschen an schlecht ablesbaren Displays, zu kleinen Schriftgrößen und unverständlichen Menus. Älteren Menschen sind die Tasten häufig zu klein, und die Bedienung ist zu kompliziert. Ansätze, auf diese Bedürfnisse abgestimmte Telefone zu vermarkten, gab es zahllose – aber sie floppten und verschwanden in aller Regel schnell vom Markt. Warum? Weil kein Senior ein Seniorentelefon kaufen möchte.

Nur die wenigsten Menschen stehen selbstbewusst dazu, dass mit fortschreitendem Alter einiges anders wird. Hilfsmittel, die dies kompensieren, werden oft nur dann akzeptiert, wenn sie als solche nicht erkennbar sind. Menschen mit einer Hörschwäche tragen in den seltensten Fällen Hörgeräte in einer poppigen Farbe. Häufig tragen sie keins und nehmen lieber Einbußen an Lebensqualität hin, als den scheinbaren Makel zu offenbaren. Menschen mit Gehbehinderung gefährden lieber ihre Gesundheit durch unsicheren Gang, als dass sie einen Stock oder gar Rollator nutzen. Letzteren sieht man übrigens fast ausschließlich in AOK-grau oder haben Sie schon einmal eine Carbon-Variante oder eine im stylischen mattschwarz gesehen?

Die Marketingbereiche der Industrie sind somit gut beraten, wenn sie einerseits Produkte schaffen, welche die tatsächlich vorhandenen Probleme und Problemchen lösen, diese aber andererseits nicht als Produkt für eine gehandicapte Zielgruppe gestalten und zu vermarkten versuchen. Weshalb funktioniert das Thema “Seniorenhandys” bei Emporia? Gehen Sie mal auf die Webseite und suchen Sie das Wort Seniorenhandy – ich habe es nicht gefunden. Die Überschrift lautet “wir machen Kommunikation einfach”. Und weiter: “Emporia hat sich darauf spezialisiert, Mobiltelefone für Menschen herzustellen, die keinen Wert auf multimediale Anwendungen und komplexe Menuführung legen”. Der Kunde entscheidet, was er möchte. Es heißt eben nicht “Sie sind zu doof und zu alt, um ein modernes Handy zu bedienen? Da haben wir die Lösung für Sie: ein Seniorentelefon in der Farbe AOK-grau, mit dem Sie klar zeigen können, dass Sie von gestern sind…” Und genau darin liegt der Grund für den Erfolg bei einem Produkt, an dem sich andere Jahre lang erfolglos abgemüht haben.

Diese Produkte und diese Art der Vermarktung erfordern im Handel Unternehmer und Verkäufer, die diese richtig verstehen und umsetzen. Dies ist einer der Faktoren, der guten stationären Handel auszeichnet. Dazu gehört in größeren Läden übrigens auch ein gut gemischtes Verkäufer-Team. So bunt wie unsere Gesellschaft ist, so bunt ist auch das Käuferverhalten. Manch einem sind Alter und Geschlecht des Verkäufers egal. Andere Kunden hingegen haben eine klare Vorstellung, und wer dieser Erwartung nicht Rechnung trägt, der macht kein Geschäft. Manche ältere Menschen kaufen eben lieber bei einem Verkäufer, der nicht ihr Enkel sein könnte. Ein nennenswerter Teil der Kunden ist in der klassischen Rollenverteilung gefangen und kauft Fernseher eher von Männern und Bügeleisen oder Staubsauger eher von Frauen. Das mag man beklagen, aber es ist Realität im deutschen Einzelhandel. Es sind eben neben Produktauswahl und Fachkompetenz oft eher die “weichen Faktoren”, derentwegen ein Kunde die Atmosphäre als einladend empfindet, sich im Laden wohl fühlt und dort gerne einkauft.

Wer sich plump anbiedert und glaubt, er könne durch Einrichtung einer Frauenecke in seinem Laden die Anzahl der Käuferinnen erhöhen, der zeigt, dass ihm jegliches Fingerspitzengefühl fehlt. Über ihn ergießt sich nicht nur der beißende Spott der Öffentlichkeit, er wird auch in der Sache erfolglos bleiben. Technisch selbstbewusste Frauen werden das als Frechheit, wenn nicht sogar Beleidigung,empfinden und den Laden meiden. Auch technisch unsichere Frauen werden in aller Regel den Laden trotzdem nicht begeistert aufsuchen, sie wollen ja ihre vermeintliche Schwäche nicht offenbaren. Und so ist es dann, wie so oft im Leben: gut gemeint ist das Gegenteil von gut.

Also, liebe Industrie und liebe Händler, versucht Eure Kunden zu verstehen, so schafft und verkauft ihr ihnen den Mehrwert, den sie gerne haben möchten – und davon profitieren dann alle.

2 Kommentare

  1. Bravo! Ein sehr vielschichtiges Thema…

    Wer sich tiefer in die Herausforderung “Senioren als Kunden” einlesen möchte, dem lege ich das “Jahrbuch Senioren Marketing” von Meyer-Hentschel an´s Herz – meiner Meinung nach ein Standardwerk für alle die an Senioren vermarkten möchten.

    Und jetzt mal Hand auf´s Herz: Wer hat sich schon mal in so einem “Alters-Simulator” namens age-explorer gesteckt und versucht sich mit Gegenständen des Alltags zu befassen?

    Wer konnte den modernen Induktionsherd bedienen?
    Die Temperatur im Designer-Kühlschrank verstellen?
    Aus dem untersten Fach im Tiefkühlschrank etwa heraus holen?
    Am LED-TV seinen Lieblingssender finden?
    Den Elektrorasierer reinigen?
    Den Dyson Staubsauger entleeren – und danach auch wieder zusammenbauen?
    Eine Bedienungsanleitung lesen – und verstehen?
    Die Preisauszeichnung im Geschäft entziffern?

    Das Hineinversetzen des Produzenten, des Managers, des Vertrieblers oder Verkäufers vor Ort in diese Zielgruppe ist sicherlich eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre.
    Wir waren alle schon mal jung, Teen, Twen, Ü30 und einige auch Ü40 oder Ü50.
    Aber bei Ü60, oder gar Ü70 wird die Luft ganz schnell sehr dünn.

    Niemand von uns befasst sich gern mit älter, kränker, unbeweglicher und unselbstständiger werden. Die meisten von uns verdrängen das oder bleiben am liebsten dicht an der Oberfläche – da tut es noch nicht weh. Und so laufen die meisten von uns täglich im Tal der Ahnungslosen umher wenn sie vor einem älteren Menschen im Geschäft stehen und ihn bedienen möchten.

    Und dieses ungenutzte Potential wächst noch viele Jahre lang täglich.

  2. Ja, da liegt viel im Argen.
    Aus diesem Grund haben wir einen Rollator entwickelt, der erstmals nicht in mausgrau, sondern in rot, grün, silber, schwarz zu haben war. Dazu haben wir ein Patent bekommen für eine Hindernisüberwindungsmechanik der Rollatoren. Weltneuheit!! Man kann damit über Teppichkanten, Absätze in Altbauten, abgesenkte Bordsteine fahren, nicht heben (!!). Wir haben den ersten Rollator gebaut, den man mit einer Hand auf beiden Rädern bremsen kann. Weltneuheit!! Alles schön und gut, aber die Produktionskosten sind selbst im fernen Osten hoch, oder die Qualität stimmt nicht. Sanitätshäuser haben zusätzlichen Beratungsaufwand mit dem ungewohnten Rollator und sind daher weniger begeistert, denn sie benötigen mehr Zeit pro verkaufter Einheit. Nun haben wir das Patent, aber keine Produktionsmöglichkeit und keinen Vertrieb. Schade, denn Senioren könnten wir enorm helfen. Die website der mobiane läuft sogar noch. Da kann man dass Prinzip sehen.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert